

Dieser Essay, den wir mit dem ersten Platz des diesjährigen Eisvogel-Preises für radikale Essayistik auszeichneten (Link), untersucht Nietzsches Frage nach den „Barbaren“ im zeitgenössischen Kontext und analysiert, wie seine Philosophie heute politisch instrumentalisiert wird. Vor diesem Hintergrund zeigt der Text, wie Hustle Culture, Plattformkapitalismus und neoreaktionäre Ideologien den „Willen zur Macht“ ökonomisieren und zu einer neuen Form subtiler Barbarei werden: einer inneren Zersetzung kultureller Tiefe durch Marktlogik, technokratische Mythen und performativen Nihilismus. Dabei kann Nietzsches Denken gerade eingesetzt werden, um diese Tendenzen in ihrer Genealogie zu beschreiben, ihren immanenten Nihilismus zu enttarnen und einen (über-)humanen Gegenentwurf zu ihnen aufzuzeigen.


Dieser Essay widersetzt sich der Leere einer Welt, die zu Gunsten der Funktion ihren Sinn verloren hat. Mit Nietzsche, Camus und dem Schatten des Sisyphos im Rücken, suche ich nach dem Wilden, nach dem Träumerischen, nach jenen, die sich nicht fügen und sich weigern, zu verstummen. Ich schreibe über die modernen Barbaren: Über Menschen, die das Nichts sehen und dennoch weiteratmen, weiterschreien, weiterträumen. Dieser Text ist meine Hymne an den Trotz, an das Ungeformte, an den Mut, die Sinnlosigkeit nicht zu fürchten. Denn selbst ohne Sinn werde ich nicht verstummen. Nicht jetzt, nicht in dieser Welt. Und eine andere gibt es nicht.
Der Essay entstand als Antwort auf die Preisfrage des diesjährigen Eisvogel-Preises (Link). Wir zeichneten ihn nicht aus, doch publizieren ihn dennoch als wichtigen Beitrag zum Thema der «neuen Barbaren» aufgrund seiner ausserordentlichen literarischen Qualität. Wer ihn lieber anhören möchte, findet ihn zusätzlich eingelesen von Caroline Will auf dem YouTube-Kanal der Halkyonischen Assoziation für radikale Philosophie (Link) oder auf Soundcloud (Link).


In der vergangenen Woche berichtete Emma Schunack von der diesjährigen Jahrestagung der Nietzsche-Gesellschaft zum Thema Nietzsches Technologien (Link). Ergänzend dazu untersucht Paul Stephan in seinem Beitrag in dieser Woche, wie Nietzsche die Maschine als Metapher einsetzt. Der Befund seiner philologischen Tiefenbohrung mitten durch Nietzsches Schriften: Während er in seinen Frühschriften an die romantische Maschinenkritik anknüpft und die Maschine als Bedrohung der Menschlichkeit und Authentizität beschreibt, vollzieht sich ab 1875, zunächst in seinen Briefen, eine überraschende Wendung. Auch wenn Nietzsche noch gelegentlich an die alte Entgegensetzung von Mensch und Maschine anknüpft, beschreibt er sich nun zunächst selbst als Maschine und befürwortet schließlich eine Verschmelzung bis hin zur Identifikation von Subjekt und Apparat sogar, konzipiert Selbst- als Maschinenwerdung. Dies hängt mit der sukzessiven allgemeinen Abkehr Nietzsches von den humanistischen Idealen seiner frühen und mittleren Schaffensperiode und der zunehmenden ‚Verdunkelung‘ seines Denkens zusammen – nicht zuletzt der Entdeckung der Idee der „ewigen Wiederkunft“. Aus einer Kritik der kapitalistischen Gesellschaftsmaschine wird ihre radikale Affirmation – amor fati als amor machinae.


Unter dem Thema Nietzsches Technologien wurden in diesem Jahr wieder internationale Besuchende zur Konferenz der Nietzsche-Gesellschaft nach Naumburg an der Saale eingeladen. In der Zeit vom 16. bis zum 19. Oktober gab es neben verschiedenen Vorträgen, einem Film-Screening sowie einem Konzert außerdem eine Kunstausstellung zu besuchen. Unsere Autorin Emma Schunack war vor Ort und berichtet von ihren Eindrücken. Ihre Frage: Wie können Nietzsches Technologien im technologischen Zeitalter Ausdruck finden?