„Je suis Nietzsche!“

Ein Dialog über Bataille, die Freiheit, die Ökonomie der Verschwendung, die Ökologie und den Krieg

„Je suis Nietzsche!“

Ein Dialog über Bataille, die Freiheit, die Ökonomie der Verschwendung, die Ökologie und den Krieg

22.5.24
Jenny Kellner, Hans-Martin Schönherr-Mann & Paul Stephan

Paul Stephan unterhielt sich mit Jenny Kellner und Hans-Martin Schönherr-Mann über die Lesart eines der wichtigsten Nietzsche-Interpreten des 20. Jahrhundert: Georges Bataille (1897–1962). Der französische Schriftsteller, Soziologe und Philosoph verteidigte die Vieldeutigkeit von Nietzsches Philosophie gegen ihre nationalsozialistische Vereinnahmung und wurde damit zu einem zentralen Stichwortgeber der Postmoderne. Er wollte auf der Grundlage einer dionysischen Mythologie eine neue Konzeption von Souveränität entwickeln, die das traditionelle Verständnis einer verantwortlichen Subjektivität transzendiert,und kritisierte die moderne kapitalistische Rationalität im Namen einer „Ökonomie der Verschwendung“. Mit all dem gibt er wichtige Impulse, um unsere Gegenwart besser zu verstehen.

I. Wer war Bataille?

Paul Stephan: Liebe Jenny Kellner, lieber Hans-Martin Schönherr-Mann, der Artikel zu Batailles und Nietzsches Konzeption einer „Ökonomie der Verschwendung“ hat uns – und auch zahlreiche Leserinnen und Leser – neugierig darauf gemacht, mehr über Georges Bataille und seine Nietzsche-Rezeption zu erfahren. Jenny Kellner, Sie haben sich in den letzten Jahren ja sehr intensiv mit derselben auseinandergesetzt im Rahmen Ihres – mittlerweile erfolgreich abgeschlossenen – Promotionsvorhabens zum Thema Anti-ökonomischer Kommunismus. Batailles philosophische Herausforderung. (Meine Gratulation an dieser Stelle!) Möchten Sie unser Gespräch vielleicht mit einer kurzen Skizze zu der ganz grundsätzlichen Frage eröffnen, wer Bataille eigentlich war und was seine Nietzsche-Rezeption gegenüber anderen auszeichnet?

Jenny Kellner: Sehr gerne. Georges Bataille war ein französischer Schriftsteller, Soziologe und Philosoph der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der sich allerdings dieser Art disziplinärer Zuschreibungen in eigentümlicher Weise entzieht. Sein Schaffen und Wirken ist eher durch Verfahrensweisen gekennzeichnet, die heutzutage wahrscheinlich als inter- oder transdisziplinär bezeichnet werden würden. Dabei war er sicher stark von zeitgenössischen geistigen Strömungen wie dem Surrealismus um André Breton, der Ethnologie im Anschluss an Marcel Mauss und der psychoanalytischen Theorie nach Sigmund Freud beeinflusst, doch es gibt m. E. auch systematische Gründe für Batailles ‚Transdisziplinarität‘ und die Schwierigkeit, ihn theoretisch richtig ‚einzuordnen‘. Diese Gründe werden sich im Laufe dieses Dialogs vielleicht nach und nach herauskristallisieren. In Bezug auf Batailles spezifische Beziehung zu Nietzsche möchte ich zunächst drei Punkte benennen: Erstens stelle ich mir Bataille als eine Art Scharnier zwischen Nietzsche und der französischen ‚Gegenwartsphilosophie‘ (d. h. den Strömungen des Poststrukturalismus, der Dekonstruktion, der Differenztheorie) vor. Er war einer der ersten französischen Denker*innen, die sich ab den 1930er Jahren intensiv mit Nietzsches Werk auseinandersetzten und vor allem versuchten, es gegen die Vereinnahmung durch den deutschen Nationalsozialismus zu verteidigen. Mit seiner Interpretation des Denkens Nietzsches als einer Lehre des Paradoxen, die eine labyrinthische Struktur aufweist, ebnete er den Weg für die reiche und heterogene französische Nietzsche-Rezeption der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (von Michel Foucault über Gilles Deleuze bis hin zu Sarah Kofman und anderen). Zweitens hatte Batailles Verteidigung Nietzsches gegen faschistische Besetzungen auch die Funktion, ihn für eine bestimmte Form des Antifaschismus fruchtbar zu machen, die von der Form des parteidoktrinären Kommunismus stark abwich. Die von Bataille 1936 gegründete Geheimgesellschaft Acéphale (dt.: ‚kopflos‘), deren öffentliches Organ eine gleichnamige Zeitschrift war, bezog sich theoretisch in erster Linie auf den Aspekt des Dionysischen in Nietzsches Denken. Hier wurde der Versuch unternommen, der mythologischen Kraft des faschistischen Projekts nicht mit rationalen Argumenten, sondern mit einer Art antiautoritärer, dionysischer, entbindender Mythologie entgegenzutreten. Drittens zeichnet sich Batailles affirmatives Verhältnis zu Nietzsche in philosophischer Hinsicht besonders dadurch aus, dass er – im Gegensatz zu den allermeisten anderen Verehrer*innen Nietzsches – auch ein affirmatives Verhältnis zu Nietzsches theoretischem Antipoden Hegel unterhielt. Die Art und Weise, wie Bataille im Zuge seiner Interpretation der Herr-Knecht-Dialektik Nietzsche ins Spiel bringt, führt auf den für Batailles Nietzschelektüre (und für sein gesamtes Denken) zentralen Begriff einer herrschaftsfreien „Souveränität“.

PS: Haben Sie vielen Dank für diesen ersten Überblick, der verständlich machen sollte, warum Bataille nicht einfach ‚ein Nietzsche-Leser unter vielen ist‘, sondern einer der wichtigsten Nietzsche-Interpreten des 20. Jahrhunderts; und auch nicht einfach nur ein Interpret, sondern jemand, der Impulse von Nietzsche eigenständig weiterdachte und auf seine Zeit bezog. Professor Schönherr-Mann, auch Sie haben sich vertieft nicht nur mit Nietzsche, sondern auch mit Bataille beschäftigt. Möchten Sie dem etwas Wichtiges hinzufügen oder vielleicht gar widersprechen?

Hans-Martin Schönherr-Mann: Ich möchte auf eine besondere Pointe hinweisen im Verhältnis von Nietzsche und Bataille hinweisen: „Ich bin Nietzsche“. Nicht Nietzsche sagt das, sondern Bataille! Er distanziert sich von der Nietzsche-Forschung seiner Zeit, indem er schlicht unterstellt, man könne Nietzsche nur aus dessen eigener Perspektive verstehen, eben wenn man ‚selbst’ Nietzsche ‚ist’. In seinem eigenen Schreiben sucht Bataille daher die Gemeinschaft mit Nietzsche.

Im Januar 1945 erscheint Batailles Verteidigung unter dem Titel Nietzsche und der Wille zur Chance. Dabei scheint sich dieses Buch gar nicht so sehr mit Nietzsche zu befassen. Der dritte und längste Teil enthält ein Tagebuch aus dem Jahr 1944, also aus der Zeit der Befreiung Frankreichs und Europas. Nietzsches 100. Geburtstag in diesem Jahr wollte niemand feiern, außer den Nazis in Weimar in Form einer gespenstischen Feier im alliierten Bombenhagel, zu der Mussolini noch eine antike Dionysos-Statue beisteuerte.

Bataille war der einzige, der es wagte, Nietzsche vor den Nazis zu retten, der daher zum Geburtstag gleich zwei Texte schrieb, einen unter dem Titel „Nietzsche-Memorandum“, publiziert im Band Wiedergutmachung an Nietzsche, und der angeführte.

Bataille hält Nietzsche für seinen Zwillingsbruder und denkt ähnlich leidenschaftlich und auf das konkrete Leben des Menschen bezogen wie Nietzsche. Der Mensch lebt, so die Einsicht Nietzsches, die Bataille aufgreift, in einer Welt, in der ihm keine Zwecke vorgegeben sind, die er sich selber suchen muss. Insofern erweisen sich Nietzsches und Batailles Philosophie als ein Plädoyer für die Freiheit des Menschen.

Mit dem Titel des Buches Nietzsche und der Wille zur Chance distanziert sich Bataille von einem Nietzsche-Verständnis, das in dessen zentraler Konzeption des Willens zur Macht einen Herrschaftsanspruch ausmacht, der sich skrupellos der Gewalt bedienen darf – ein Verständnis, das ja damals durch das von Nietzsches Schwester aus dem Nachlass zusammengestellte und dabei fleißig manipulierte Werk Der Wille zur Macht befördert schien.

Einerseits schließt Bataille an Nietzsches berühmte These vom Tode Gottes an. Doch was Nietzsche ohne Bedauern kalt diagnostiziert, um nun zu neuen, wiewohl nur noch irdischen Ufern aufzubrechen, das hat sich im Denken von Bataille andererseits tiefer eingebrannt. Bataille will das Göttliche in einer Welt nicht aufgeben, in der Gott tot ist.

Atheologische Summe III lautet der Untertitel dieses Nietzsche-Bandes. Bataille positioniert sich damit gegenüber der Summa theologica des Thomas von Aquin, der wie kein anderer das katholische Weltbild bis heute fundiert hat. Bataille transformiert den Atheismus in eine Atheologie. Der erste Band der atheologischen Summe unter dem Titel Die innere Erfahrung beschäftigt sich mit Methoden der Meditation und der Mystik. Doch Ekstase und Kontemplation erlebt der Mensch auch unter Bedingungen, wenn Gott tot ist, nämlich vor allem in der Erotik. Ihr hat Bataille eines seiner berühmtesten Werke gewidmet unter dem Titel Der heilige Eros (1957).

Die drei Bände der atheologischen Summe spielen insgesamt eine zentrale Rolle in seinem theoretischen Werk, zu dem vor allem noch seine ökonomische Schrift Der verfemte Teil. Versuch einer allgemeinen Ökonomie gehört (1949), die uns in unserem Gespräch sicher noch beschäftigen wird.

II. Was ist Freiheit?

PS: Ja, auf Batailles nietzscheanische Ökonomiekritik im Namen einer „Ökonomie der Verschwendung“ wird sicher noch zurückzukommen sein. Doch zuvor möchte ich auf einen gemeinsamen Punkt eingehen, der in Ihren beiden ersten Antworten zur Sprache kam: dass Bataille eine „Philosophie der Freiheit“ bzw. der „herrschaftsfreien ‚Souveränität‘“ vertritt. Etwa zur selben Zeit entwickelten ja auch die Existenzialisten um Sartre, Albert Camus und Simone de Beauvoir eine „Philosophie der Freiheit“, mitunter mit Bezug auf Nietzsche. Allerdings handelt es sich dabei um eine Freiheit des Bewusstseins, die moralische Verantwortung impliziert, das rückt diese Denker in eine gewisse Nähe zum philosophischen Idealismus, zu Kant, Hegel und vielleicht sogar Fichte. Die Existenzialisten grenzten sich ausgehend von diesem Verständnis mitunter sehr polemisch von Bataille ab und erblickten ihn ihm einen scheinradikalen Nihilisten, der sich vor der wirklichen Praxis fürchte. Auch heute ist der Begriff der „Freiheit“ in der philosophischen Debatte wieder sehr umstritten. Inwiefern weicht Batailles (nietzscheanisches) Freiheitsverständnis von dem idealistischen bzw. existenzialistischen ab? Und wie würden Sie es gegen die existenzialistische Polemik verteidigen?

JK: Genau, das Verhältnis von Batailles Freiheits- bzw. Souveränitätsbegriff zu Fragen der (politischen) Praxis ist ein sehr interessantes Problem. Professor Schönherr-Mann hat ja schon auf die Bedeutung der Erotik in Batailles Denken hingewiesen. Meines Erachtens wäre es aber falsch, die Betonung der Erotik bei Bataille als eine Art Rückzug aus dem Feld des Politischen zu interpretieren. Vielmehr glaube ich, dass Bataille die erotische Erfahrung im Sinne einer Erfahrung von Ekstase, von Sinn- und Selbstverlust gerade deshalb ernstnimmt, weil sie für ihn tatsächlich von politischer Bedeutung ist, sofern es ihm um eine radikale Insubordination geht. Wenn Bataille eine Politik unterstellt werden kann, dann eine Art Politik der permanenten Revolte. Die Souveränität, wie Bataille sie begreift, ist keine Eigenschaft oder Bedingung, die zum Handeln befähigt, sie ist vielmehr eine Absage an das Handeln selbst. Handeln impliziert immer eine Zweck-Mittel-Struktur (das heißt, es ist in den rationalen Diskurs der Vermittlung eingebettet) und weist damit eine prinzipielle Struktur des Aufschubs auf. Souverän ist man aber nur im Augenblick – und die erotische Erfahrung kann ein solcher Augenblick sein. In der Erotik geht es um eine heillose Verschwendung von Energie, eine unproduktive Verausgabung der Kraft (was übrigens auch direkt in Batailles ‚allgemeine Ökonomie‘ führt). Was uns ausmacht, wenn wir ‚souverän‘ sind (zum Beispiel in der erotischen Erfahrung, aber auch im Geschenk ohne Gegenleistung oder in der Kunst), ist, dass wir in diesen Augenblicken nichts und niemandem dienen (was mit einer Erosion von Subjekt und Objekt einhergeht, das heißt auch, mit einer Erfahrung von Gemeinschaft, die der mystischen ähneln mag, jedoch insofern von ihr abweicht, als man in ihr zur heterogenen Vielheit, zur nietzscheanischen Wüste wird). Der Aspekt einer radikalen ‚Undienlichkeit‘ ist das, was Bataille an Nietzsches Philosophie so sehr bejahte. Alle Moral, alles Handeln-Sollen ist in Batailles wie in Nietzsches Perspektive eine Form der Knechtschaft. In Nietzsche und der Wille zur Chance scheint dieser Gedanke auf, wenn Bataille darauf hinweist, dass für die Freiheit zu kämpfen bittererweise immer erst einmal heißt, sie aufzugeben. Das Verhältnis zwischen Freiheit oder Souveränität und politischem Kampf oder politischer Praxis ist für Bataille damit von vorneherein ein paradoxes. Wir haben es hier mit einem Freiheitsbegriff zu tun, der in der Tat in einen Abgrund, in einen Sturz in den Nichtsinn führt, den die oben angesprochenen Existenzialist*innen auch zu kennen scheinen, den sie aber durch eine Moralphilosophie der ‚frei gewählten‘ Verantwortung überwunden glauben. Für Bataille hingegen gibt es kein Zurück aus dem Abgrund in eine geregelte moralische Existenz. Das heißt aber nicht, dass sein Denken unpolitisch oder politisch ohne Konsequenzen wäre. Denn die radikale Anfechtung des rationalen Diskurses stellt eben auch gesellschaftliche Verhältnisse und politische Zusammenhänge sehr grundlegend infrage. Interessanterweise stellt Bataille seine exzessive Identifikation mit Nietzsche, auf die Professor Schönherr-Mann hingewiesen hat, besonders deutlich in einem kurzen Aufsatz von 1951 zur Schau, der den Titel Nietzsche im Lichte des Marxismus trägt. Meiner Analyse zufolge stellt Bataille in diesem Essay zwei Formen der Emanzipation gegenüber: eine kommunistische Form, bei der es um die Befreiung der gesamten Menschheit geht, und eine nietzscheanische Form, bei der es um die Befreiung des ganzen Menschen geht, das heißt, eines Menschen, der sich keinerlei partikularen Zwecksetzungen, keinerlei Handlungsimperativen unterordnet. Beide Formen der Emanzipation kollidieren miteinander, schließen einander aus, sind aber zugleich wechselweise aufeinander angewiesen, sofern die eine ohne die andere hinfällig ist, bzw. die Vernachlässigung der einen notwendigerweise die Konterkarierung der anderen bedeuten würde. Hier zeigt sich, was an Batailles Freiheitsbegriff (und mithin an seiner Nietzsche-Lektüre) in politischer Hinsicht so überaus brisant ist: Bataille ist weit davon entfernt, Nietzsche einer linken politischen Perspektive anzuverwandeln, ihn politisch ‚dienstbar‘ zu machen. Doch er spielt Nietzsche auch nicht gegen das kommunistische politische Projekt aus. Vielmehr versetzt er beide in ein paradoxes Spannungsverhältnis, das in keinem (hegelianischen oder sonstigen) Sinn ‚aufgehoben‘ werden kann. Jedes emanzipatorische Projekt, das die eine Seite der Emanzipation auf die andere reduziert oder eine der beiden Seiten ignoriert, läuft Gefahr, in Reaktion umzuschlagen. Darin liegt, meines Erachtens, ein wichtiger Aspekt der politischen Bedeutung, die Batailles nietzscheanisches Souveränitätsdenken ausmacht.

SM: Bataille antwortet auf den Beginn des Zweiten Weltkriegs mit einem teils tagebuchartigen, teils philosophischen Text Die Freundschaft, den er 1944 veröffentlicht. Darin heißt es quasi programmatisch:

Mit der Leidenschaft, der boshaften Luzidität, deren ich fähig bin, habe ich gewollt, dass das Leben in mir sich entkleide. Seit der Kriegszustand besteht, schreibe ich dieses Buch, alles übrige ist leer in meinen Augen. Ich will nichts als leben: Alkohol, Ekstase, nackte Existenz, wie eine nackte – und verwirrte – Frau. In dem Maße, wie das Leben, das ich bin, sich mir enthüllt und gleichzeitig, da ich es gelebt habe, ohne etwas zu verbergen, von außen sichtbar wird, kann ich innerlich nur bluten, weinen und begehren.1

Das ist eine andere Antwort auf den Krieg, als man sie im französischen Existentialismus findet, der in jenen Jahren Form annimmt, wenn Camus in Der Mythos von Sisyphos 1942 den Menschen die Möglichkeit zur Auflehnung auch im Angesicht seiner Aussichtslosigkeit attestiert. Sartres Analyse 1943 in Das Sein und das Nichts schreibt dem Bewusstsein die Fähigkeit zu, sich zu verändern, begründet damit die Freiheit phänomenologisch – nicht idealistisch: das höchstens aus einer materialistischen und kommunitarischen Perspektive –, was in eine individuelle Verantwortung für das eigene Leben ausläuft. Für die militarisierten Gesellschaften seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, in denen die Menschen als Untertanen geführt werden, sind das unerträgliche Behauptungen. Diesem Verständnis von Verantwortung folgt Bataille nicht, obwohl es sich auf Nietzsche berufen kann. Und Camus nimmt noch in L’Homme révolté (1951) eine eher skeptische Haltung gegenüber Nietzsche ein, steht dieser doch im Verdacht der Nähe zu den Nazis.

Es gibt eine andere Parallele zwischen dem Existentialismus und Bataille, der auf die Entstehung des ersteren in den dreißiger Jahren zurückgeht. Bataille schreibt in Die Freundschaft: „Wer von Gerechtigkeit spricht, ist selber Gerechtigkeit, schlägt einen Gerichtsherrn, einen Vater, einen Führer vor. Ich schlage nicht die Gerechtigkeit vor. Ich bringe komplizenhafte Freundschaft. Ein Gefühl von Festlichkeit, von Freizügigkeit, von kindlicher und verteufelter Lust“ (S. 58). Bataille lehnt die Hoffnung ab, man könnte Probleme durch Staaten lösen.

An die Stelle des Politischen treten individuelle Beziehungen, die nun wiederum für Bataille keineswegs auf gelungener Kommunikation beruhen, wie es sich Camus, Sartre und de Beauvoir vorstellen. Dagegen schreibt Bataille:

In dem Maße, wie die Wesen vollkommen scheinen, bleiben sie isoliert, in sich selbst verschlossen. Doch die Wunde der Unvollendung öffnet sie. Durch das, was man Unvollendung, animalische Nacktheit, Wunde nennen kann, kommunizieren die verschiedenen, voneinander getrennten Wesen, gewinnen Leben, indem sie sich in der Kommunikation untereinander verlieren.2

Batailles Denken ist nicht nur in Die Freundschaft, sondern durchgängig, vor allem aber in Der verfemte Teil und in Der heilige Eros (1957) durch eine radikale Ablehnung der sozialen Diskurse gezeichnet, denen er provokante Ideen entgegensetzt. Das findet sich auch im frühen Existentialismus der dreißiger Jahre und noch in den Vierzigern, wenn es nicht um die individuelle Verantwortung geht, sondern um eine Absonderung vom Sozialen.

So ist der Titel von Sartres Roman Der Ekel (1938) ebenso Programm wie bei Camus‘ Roman Der Fremde von 1942. In Sartres Erzählung Herostrat (1939) hat er gewisse Sympathien mit einem Amokläufer. Und im dritten Band von Die Wege der Freiheit schießt der Held, ein Pariser Philosophielehrer wie Sartre, völlig sinnlos auf deutsche Soldaten:

Eine gewaltige Rache war’s; jeder Schuss rächte ihn für einen alten Zweifel. [. . .] Er schoss auf den Menschen, auf die Tugend, auf die Welt: die Freiheit – das ist der Terror; [. . .] er schoss auf den schönen Offizier, auf alle Schönheit dieser Erde, auf die Straße, auf die Blumen, auf die Gärten, auf alles, was er geliebt hatte.3

Bereits im 19. Jahrhundert entsteht eine Philosophie, die die Gesellschaft ablehnt, ohne sich um staatliche Alternativen zu kümmern: Max Stirner und Nietzsche; im 20. Jahrhundert sind es neben den Existentialisten und E.M. Cioran vor allem Literaten wie Henry Miller, Philip Roth, Charles Bukowski, Hermann Hesse, Franz Kafka. Philipp Blom nennt Diderot und Holbach 2011 Böse Philosophen, weil sie wie der Marquis de Sade Sinnlichkeit und Lust verteidigen. Einen solchen Titel könnten sich Bataille und Sartre teilen, auch wenn ersterer die Souveränität und letzterer die Verantwortung betont. Beiden geht es wie Nietzsche um ein Individuum, das sich Staat und Gesellschaft nicht unterordnet. Das betrachten die meisten Zeitgenossen als böse.

III. Was ist die Ökonomie der Verschwendung?

PS: Ein wesentliches Thema Batailles ist ja nicht nur die Kritik der kollektiven, staatlichen, zugunsten der individuellen Souveränität, sondern auch, wie Jenny Kellner in Ihrem erwähnten Artikel darlegte, die Kritik der kapitalistischen Effizienzlogik zugunsten einer „Ökonomie der Verschwendung“. Dieses Moment scheint mir im vergleichsweise asketischen Existenzialismus keinerlei Rolle zu spielen. Beide Motive scheinen sich in der Tat bei Nietzsche zu finden – die Apologie der Ekstase und die Kritik der „asketischen Ideale“ wie auch die Betonung individueller Verantwortlichkeit. Hier fragt man sich schnell, was unserer heutigen gesellschaftlichen Realität eher entspricht: Vom Standpunkt der Ökologiebewegung aus gesehen ist es ja so, dass wir es bei der gegenwärtigen kapitalistischen Ökonomie bereits mit einer „Ökonomie der Verschwendung“ zu tun haben und dagegen mehr individuelle und kollektive Verantwortung im Sinne der Askese gefordert wird. Könnte man in diesem Sinne vielleicht von einem gewissen Veralten von Batailles Kritik sprechen? Leben wir nicht längst in einer enthemmten Ökonomie und sollten, um der Zukunft des Planeten willen, die Freuden des Verzichts entdecken? Was meinen Sie, Frau Kellner?

JK: Das ist eine sehr gute Frage! Bataille räumt in der Inneren Erfahrung ein, dass die Askese ein Mittel sein kann, um sich von der Knechtschaft des Besitzdenkens und der Dinglichkeit zu befreien. Allerdings verbindet sich mit dieser Lossagung Bataille zufolge auch ein bestimmtes Heilsversprechen: Es geht darum, einen Teil von sich aufzugeben, um einen anderen Teil (z. B. ‚Seele‘ genannt) zu retten. Das trifft strukturell sicher auch auf das von Ihnen angesprochene ökologische asketische Ideal zu. Bei Batailles Verschwendungsemphase geht es aber um eine radikalere Absage an Besitz und Dinglichkeit, die keine Rettung und kein Heil mehr impliziert (und insofern genauso ‚böse‘ ist, wie es Professor Schönherr-Mann Bataille und den existenzialistischen Denker*innen oben attestiert hat). Ich glaube übrigens nicht, dass Batailles Ökonomiekritik veraltet ist, sondern dass dieser Eindruck durch ein Missverständnis entsteht. Denn, etwas vereinfacht gesagt, ist mit Bataille Verschwendung nicht gleich Verschwendung. Die grundlegende These seiner Ökonomietheorie besagt ja, dass es auf jeden Fall Überschüsse gibt, die profitlos verausgabt werden müssen, doch diese Verschwendung kann die unterschiedlichsten Formen annehmen. Sie kann bewusst gewählt werden und nach Kriterien des Gefallens, das heißt, im weitesten Sinne nach ästhetischen Kriterien gestaltet werden – das wäre eine aktive und gloriose Form der Verschwendung von Überschüssen. Sie kann aber auch passiv erlitten werden, wenn ihrer Notwendigkeit mit Verleugnung und Verdrängung begegnet wird – dann stößt sie uns zu. Bataille spricht hier von „katastrophischen Formen“ der Verausgabung und nennt etwa den modernen Krieg als Beispiel dafür4. Aber auch Umweltkatastrophen lassen sich natürlich genau auf diese Weise erklären. Benjamin Noys weist im Nachwort zur Neuausgabe des Verfemten Teils von 2021 darauf hin, dass dieses 1949 erstmals veröffentlichte Buch die globale Krise voraussieht, und dass gerade deshalb heute wieder ein verstärktes Interesse daran aufgekommen ist. Batailles Argument besteht in dieser paradoxen Wendung: Da wir nicht in der Lage sind, bewusst gloriose Verschwendungen zu praktizieren, richtet die unvermeidliche Verschwendung sich katastrophisch gegen uns selbst und zerstört uns. Hier wird deutlich, dass Bataille mit seiner Ökonomiekritik im Grunde wirklich ein aufklärerisches Projekt verfolgt:

Unsere Unkenntnis hat nur die eine unbestreitbare Folge: sie läßt uns erleiden, was wir, wenn wir Bescheid wüßten, nach Belieben selbst bewirken könnten. Sie beraubt uns der Wahl der Art des Ausschwitzens, die uns gefällt. Vor allem aber setzt sie die Menschen und ihre Werke katastrophischen Zerstörungen aus. Denn wenn wir nicht die Kraft haben, die überschüssige Energie selbst zu zerstören, die anderweitig nicht benutzt werden kann, so zerstört sie uns wie ein unzähmbares Tier, und wir selbst sind das Opfer der unvermeidlichen Explosion.5

Das heißt auch, dass asketische Grundsätze, so gut gemeint sie im Hinblick auf die ökologische Krise sind und so sinnvoll sie erscheinen mögen, möglicherweise genau das Gegenteil von dem bewirken könnten, was sie bewirken sollen. Jedenfalls besteht diese Gefahr, wenn die asketische Zurückhaltung das einzige Mittel ist, das zur Abwendung der Krise eingesetzt werden soll. Gerade, wenn es sich in Form moralischen Drucks den Einzelnen aufdrängt, bleibt unabsehbar, wo welche Kessel mit welchen Folgen explodieren werden. Hier erleben wir heute ja auch eine ziemliche Bigotterie, wenn kapitalistische Produktion mit all ihren zerstörerischen Folgen ungebremst weiter betrieben wird, die Privatleute aber gleichzeitig angehalten werden, bitte nicht so lange zu duschen, sparsamer mit Strom, Benzin, Fleisch und Verpackungen umzugehen usw. Ich würde außerdem bezweifeln, dass das, was wir hier ‚kapitalistische Verschwendung‘ nennen, tatsächlich die profitlose Verausgabung darstellt, um die es Bataille geht. Wenn jährlich Unmengen von Elektromüll entstehen, weil die Handy- und Computerindustrie ständig neue Geräte auf den Markt wirft, oder wenn Gebäude, Werbetafeln und Läden nachts beleuchtet werden, dann geschieht das ja gerade nicht im Bewusstsein, dass hier Energieüberschüsse sinnlos verprasst werden – als glorioses Geschenk ohne Gegenleistung, wie Nietzsches Zarathustra es bejahen würde –, sondern es geschieht aus völlig rationalem ökonomischem Kalkül heraus: Es gibt Leute, die massiv von diesen Verschwendungen profitieren! Das sind also gar keine nutzlosen Verausgabungen in einem batailleanisch-nietzscheanischen Sinne. Betrachtet man etwa die Massentierhaltung, so hat man es doch mit einer hocheffizienten Form der Nahrungsmittelproduktion zu tun. Verschwenderisch wäre es aus ökonomischer Sicht, den Tieren Raum und gesundes Futter und Zeit zum Leben und zum Wachsen zu geben. Nach den Maßgaben der Mehrwertsteigerung und Gewinnmaximierung sind Massentierhaltung, Produktion von immer mehr Müll, Ausbeutung der Ressourcen und der Umwelt usw. absolut sinnvoll. Batailles Einsicht besteht darin zu sagen: Diese rationalistische Logik der Steigerung der Produktivkräfte und die entsprechende Wachstumsideologie werden sich früher oder später gegen uns selbst richten! Der Exzess des Kapitalismus besteht nicht in seinen Verschwendungen. Diese sind vielmehr eine ungewollte sekundäre katastrophische Folge des kapitalistischen (und protestantischen!) Prinzips, dass überhaupt nicht verschwendet werden darf, dass aus jeder Sache, jedem Individuum, jeder Bewegung auf dem Globus noch das letzte bisschen Mehrwert herausgepresst werden muss, das möglich ist. Wir kennen ja das Paradox der Effizienzsteigerung: Wenn plötzlich in kürzerer Zeit mehr produziert werden kann, führt das keineswegs dazu, dass die Produktionszeit sich tatsächlich verkürzt, sondern im Gegenteil, dass mehr und immer mehr produziert wird. Im Grunde geht es um die Erkenntnis, die in anderem Kontext von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung formuliert wurde: dass exzessiver Rationalismus notwendig in Irrationalismus umkippt. Für die irren Paradoxa der Rationalisierungsprinzipien sensibilisiert Batailles ökonomietheoretische Perspektive in einzigartiger Weise. Ich halte sie daher für aktueller denn je.

PS: Der aus dem Geist der innerweltlichen Askese, um es mit Max Weber zu sagen, geborene Kapitalismus produziert also paradoxerweise gewaltige Überschüsse, die er gerade aufgrund seiner totalisierenden Effizienzlogik nicht mehr zu kanalisieren vermag und die immer wieder zu katastrophischen Explosionen führen. Das scheint wirklich eine originelle Synthese von Marx’ ökonomischer und Nietzsches kultureller Krisentheorie zu sein. Ein solches ‚Feuerwerk‘ können wir ja möglicherweise gerade in der Ukraine bestaunen. Es wird vielleicht in der Tat Zeit, statt Askese auf „gloriose Verschwendung“ zu setzen, um den Planeten zu retten – das würde die ökologische Bewegung vielleicht auch attraktiver machen. Erblicken Sie in diesen Gedanken eine ähnliche Aktualität, Professor Schönherr-Mann?

SM: Ja, Batailles „allgemeine Ökonomie“ ist hochaktuell. Es fragt sich nur, ob das wirklich jemand lesen möchte, nicht nur unter Ökologen. Denn das Fremdeln dürfte schon mit seinem Naturverständnis anheben, heißt es doch etwa in Der verfemte Teil: „Ich gehe von einer elementaren Tatsache aus: Der lebende Organismus erhält, dank des Kräftespiels der Energie auf der Erdoberfläche, grundsätzlich mehr Energie, als zur Erhaltung des Lebens notwendig ist“ (1985, S. 45). Nicht zu wenig Energie verbreitet sich über die Erde als Prinzip des Lebens, sondern zu viel Energie, die die Natur verschwenden muss. Das widerspricht ökologischen Vorstellungen von Kreisläufen, Gleichgewichten, Stabilitäten. Natur hat dagegen für Bataille keinen gleichbleibenden Zustand, sondern befindet sich in permanenter Veränderung. Das kommt der Evolutionstheorie Darwins näher als ein Selbstverständnis, das nach Einklang mit der Natur sucht und sich gerne an vermeintlich natürlich lebenden Menschengruppen im Urwald orientiert.

Dieses Prinzip der natürlichen Verschwendung überträgt Bataille auf die Zivilisation. Das ökonomische Bewegungsgesetz ist nicht das Wachstum, sondern die Verschwendung – ein Prinzip, das sich für Bataille durch die Geschichte hindurch zieht: Tempel und Paläste, extensive Feste und ausschweifender Luxus, heute in den reicheren Ländern zumindest ein breit gestreuter Konsum. Für Bataille ist es dagegen eine

Tatsache, dass es, allgemein gesehen, kein Wachstum gibt, sondern nur eine luxuriöse Energieverschwendung in vielfältiger Form! Die Geschichte des Lebens auf der Erde ist vor allem die Wirkung eines wahnwitzigen Überschwangs: das beherrschende Ereignis ist die Entwicklung des Luxus, die Erzeugung immer kostspieligerer Lebensformen.6

Just die Verschwendung wird in der Moderne flächendeckend verfemt – ein Phänomen, das es vorher nicht gab: Aus der christlichen Armutsregel erhob sich eine Prunk entfaltende Kirche. Bataille verweist auf die protestantische Arbeitsethik, die nach Max Weber die Entstehung des Kapitalismus beförderte, dem es um Effizienz und Produktionssteigerung geht. Das quittiert Bataille in Der heilige Eros 1957 mit den Worten: „Mit geringen Kosten produzieren ist ein armselig menschlicher Wunsch“ (S.  56).

Der Sowjetunion gesteht Bataille zu, dass es ihr um die Frage gerechter Güterverteilung geht. Im zeitgenössischen Kapitalismus bemerkt er auch eine Tendenz zur Verschwendung, entsteht die Schrift Der verfemte Teil 1949 doch vor dem Hintergrund des Marshallplans, als die USA Europa mit Transferleistungen unterstützten, um den Wiederaufbau nach dem Krieg zu fördern. Doch Bataille erkennt, dass diese Verschwendung Hintergedanken beherbergt, um Europa gegenüber der Sowjetunion zu stärken und um zukünftige Absatzmärkte zu schaffen. Es handelt sich also doch nicht um reine Verschwendung.

Trotzdem kommt der Marshallplan einer anderen Art der Verschwendung nahe, wenn Bataille bemerkt: „Was in der völligen Zerrissenheit einen davon abhält, den Krieg als unvermeidlich anzusehen, ist der Gedanke – um eine Formulierung von Clausewitz umzukehren –, dass die Ökonomie unter den gegenwärtigen Bedingungen seine Fortsetzung mit anderen Mitteln ist“ (ebd., S. 210). Die USA führen damit einen Wirtschaftskrieg gegen die Sowjetunion. Verschwendung hat dann einen kriegerischen Sinn.

Bataille zählt den Krieg selbst zur Verschwendung. Das liegt auf der Hand. Denn was bis ins 18. Jahrhundert primär Monarchen betreiben, das setzt der Nationalstaat fort. Auch die Sowjetunion ist unter Stalin durchgängig militarisiert. Vor allem der Faschismus schließt mit seiner kriegerischen Orientierung an die monarchische Verschwendung an. Schätzt das Bataille etwa positiv ein? Seit dem 19. Jahrhundert hofft man, mit dem Krieg und nur mit dem Krieg seine Ziele zu verwirklichen: Hegel, Juan Donoso Cortés, Proudhon, Marx und Max Weber setzen auf den Krieg.

Zugleich scheint er im Gegensatz zu den ökonomisierten Lebensverhältnissen einen lebendigen Charakter zu haben – so wird es noch Carl Schmitt sehen. Bataille bezieht sich jedoch auf einen anderen Referenten:

Der Krieg ist ein letztes Spiel, er ist ein tragisches Spiel: ein Spiel, bei dem man alles einsetzt, was man hat, das eigene Leben inbegriffen, und ich glaube, das ist es, was Nietzsche am Krieg geliebt hat; denn für ihn war das Leben im Wesentlichen ein Spiel. Nietzsche hat zweifellos auch die Erfahrung machen müssen, dass es kein Spiel gibt, das dem Krieg überlegen wäre; er ist das einzige Spiel, in dem der Einsatz total ist.7

Friedliebend gesonnene Leser wie Arthur C. Danto möchten Nietzsche diese kriegerischen Zähne ziehen. Doch Bataille lebt in einer äußerst kriegerischen Zeit und zählt nicht zu den Pazifisten.

Doch er lässt sich auch nicht zu den Militaristen rechnen, sowenig wie zu jenen, die meinen, die Welt retten zu müssen, mit oder ohne Gewalt, und die dafür auch einen großen Plan einschließlich einer entsprechend dimensionierten Erzählung haben. Stattdessen sagt Bataille 1957: „[I]ch übernehme nicht die Verantwortung für die Welt, in welchem Sinne auch immer.“8 Als Verschwendung hat Krieg für Bataille einen gewissen Sinn, noch dazu, weil diese verfemt wird, mehr aber nicht, schon gar keinen kathartischen oder gar einen katastrophalen. Letzteres hat er ja gerade überstanden.

So hat Verschwendung, ob als Krieg oder als Party, keinen Sinn. Seine allgemeine Ökonomie führt vielmehr mit der Verschwendung die Sinnlosigkeit derselben vor, wie Bataille sich 1951 über sein Werk äußert: „Meine ganze Philosophie besteht darin zu sagen, das wichtigste Ziel im Leben ist es, sich der Gewohnheit zu entledigen, immer ein Ziel vor Augen zu haben“ (ebd., S. 53). Wer will sich von den politisch, sozial oder ökologisch Engagierten mit solch einer Aussage anfreunden? Will man Bataille für die liberale Ökonomie und die Ökologie fruchtbar machen, müsste man diese beiden umdenken, nämlich in die Richtung, dass es keinen Sinn gibt.

Damit besteht eine Nähe zu Nietzsche, der jedoch konstruktiver ist, will er doch neue Wert schaffen, und wenn man mit Danto von dessen Kriegsbegeisterung absieht. Trotzdem gilt für Nietzsche umso mehr, was Bataille über sich 1953 bemerkt: „Ich würde gerne sagen, dass ich darauf am stolzesten bin, Verwirrung gestiftet zu haben . . . das heißt, die ausgelassenste und schockierendste, die skandalöseste Art zu lachen mit dem tiefsten religiösen Geist verbunden zu haben“ (ebd., S. 132). Was für Verwirrungen hat doch auch Nietzsche gestiftet!

Verwundert es dann, wenn Maurice Blanchot, den solche Provokationen schockieren, in seinem Nachruf auf Bataille 1962 jede geistige Gemeinsamkeit zurückweist, selbst angesichts von Batailles Tod: „So besitzt der Tod die falsche Tugend, so zu tun, als gäbe er denjenigen die Nähe zurück, die schwere Differenzen getrennt haben“9?

PS: Wir sehen, denke ich, dass sich Batailles Interpretation dadurch auszeichnet, dass er anderen gegenüber die destruktiven, ‚nihilistischen‘ Aspekte Nietzsches betont und affirmiert. Er begnügt sich jedoch nicht mit einer bloßen Skepsis, sondern gewinnt aus diesem Nihilismus die Freiheit der Schöpfung neuer Konzepte, die von ihrer Faszinationskraft nichts eingebüßt haben, egal, ob es um die Konzeption einer nichtsubjektiven Souveränität oder einer bewussten Verschwendung als Gegenentwurf zur kapitalistischen Effizienzlogik geht. Ich bedanke mich für dieses äußerst instruktive Gespräch!

Quellen

Bataille, Georges: Der heilige Eros. Berlin e. a. 1984.

Ders.: Der verfemte Teil. Versuch einer allgemeinen Ökonomie. In: Ders.: Die Aufhebung der Ökonomie. München 1985, S. 33–234.

Ders.: Der verfemte Teil. Versuch einer allgemeinen Ökonomie. Berlin 2021.

Ders.: Die Aufgaben des Geistes. Gespräche und Interviews 1948-1961. Berlin 2012.

Ders.: Die Freundschaft und Das Halleluja. Atheologische Summe II. Berlin 2002.

Ders.: Die innere Erfahrung. Berlin 2017.

Ders.: Nietzsche im Lichte des Marxismus. In: Werner Hamacher (Hg.): Nietzsche aus Frankreich. Hamburg 2007. S. 19-26.

Ders.: Nietzsche und der Wille zur Chance. Atheologische Summe III. Berlin 2005.

Blanchot, Maurice: Die Freundschaft. In: Ders.: Die Freundschaft. Matthes & Seitz, Berlin. S. 369–373.

Sartre, Jean-Paul: Die Wege der Freiheit, Bd. 3. Reinbek b. Hamburg 1987.

Fußnoten

1: S. 56.

2: Ebd., S. 39.

3: S. 220.

4: Vgl. Bataille, Der verfemte Teil, Erster Teil, Abschnitt 4: „Der Krieg als katastrophische Verausgabung der überschüssigen Energie“ (1985, S. 48 ff.).

5: Ebd., S. 48.

6: Ebd., S. 56.

7: Nietzsche und der Wille zur Chance, S. 110.

8: Die Aufgaben des Geistes, S. 98.

9: Blanchot, Die Freundschaft, S. 372.