Mit Nietzsche die Künstliche Intelligenz befragen
Zur Kritik aktueller KI-Diskurse
Mit Nietzsche die Künstliche Intelligenz befragen
Zur Kritik aktueller KI-Diskurse

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Transhumanisten glauben, mit der Künstlichen Intelligenz die wahre Welt zu erfassen. Das hat nicht nur Nietzsche als Unsinn vorgeführt. Der KI werden Moralprogramme eingegeben. Mit Nietzsche verlängert sich dadurch eine lebensfeindliche Moral. Und dass die KI den Menschen hilft, das hätte Nietzsche auch schon hinterfragt. Die Menschen müssen sich vielmehr der KI unterwerfen. Mit Nietzsche können sie sich ihrer Macht entziehen.
Vorausgesetzt, dass die Wahrheit ein Weib ist –, wie? ist der Verdacht nicht gegründet, dass alle Philosophen, sofern sie Dogmatiker waren, sich schlecht auf Weiber verstanden? [. . .] Gewiss ist, dass sie sich nicht hat einnehmen lassen.1
Schafft das heute die Künstliche Intelligenz? Da die KI jenseits der Materialien, die ihr eingegeben werden, auch auf Daten des Internets zugreift, ist die KI für Christian Uhle menschlicher Intelligenz vielfältig überlegen: „Sowohl in der Medizin als auch in der Juristerei wird KI alle jemals publizierten Studien, Aufsätze und Kommentare gelesen und ausgewertet haben – kein Mensch ist dazu in der Lage.“2 Hat die KI also die Wahrheit längst verführt? Erfasst sie damit die Welt an sich, wie sie ist, die wahre Wirklichkeit?
Yuval Noah Harari stimmt dem offenbar zu: „Das System wird Sie besser kennen als Sie sich selbst und deshalb die meisten wichtigen Entscheidungen für Sie treffen – und Sie werden damit vollkommen zufrieden sein.“3 Was bliebe dann noch von Wahrheit und Wirklichkeit anderes als die von der KI erfassten!
Der Vordenker des Transhumanismus Ray Kurzweil bezeichnet die heutige KI als schwach und prophezeit eine starke ‚Artificial Super Intelligence‘ (ASI), über die Günter Cisek schreibt: „Wenn für die ASI gilt, dass sie sich über die menschliche Intelligenz hinaus entwickeln kann, dann gilt die Wette, dass sie auch eine Erkenntnisebene erreichen kann, wo ihr ein ‚übersinnliches‘ Bewusstsein möglich wird.“4

I. Das fragwürdige Verhältnis von Sprache und Welt
Das zentrale Problem bleibt trotzdem das Verhältnis von Sprache und Welt, das Nietzsche bereits in Frage stellt: „Die Bedeutung der Sprache für die Entwicklung der Cultur liegt darin, dass in ihr der Mensch eine eigene Welt neben die andere stellte, [. . .] er meinte wirklich in der Sprache die Erkenntnis der Welt zu haben.“5 Die Sprachphilosophie des 20. Jahrhunderts wird das Verhältnis ähnlich sehen und damit die Objektivität der Wissenschaften bzw. die wissenschaftliche Wahrheit erschüttern.
Dagegen erkennt Jonathan Geiger in der Digitalisierung die Chance, solche sprachphilosophischen Verunsicherungen endlich in den Griff zu bekommen. Wenn auch in die Philosophie die Digitalisierung einzieht, bleibt nichts anderes, so Geiger: „Such-, Analyse-, Transformation- und Visualisierungszugriffe auf digitale Sammlungen sind nur durch kontrollierte Vokabulare möglich.“6 Dann wird die Digitalisierung freilich eine Normierung der Sprache intensivieren, die ja auch szientistisch im Gang ist. Mit Hilfe der KI sollen die Wissenschaften dann die wahre Welt erkennen.
Nietzsche würde der Digitalisierung Illusionismus vorwerfen. Denn sie rechnet nur, sie dichtet nicht, kommt gerade die Dichtung der Welt näher.7 Die modernen Wissenschaften quantifizieren dagegen alles, aber sie erklären nicht; denn „wir operieren mit lauter Dingen, die es nicht gibt, mit Linien, Flächen, Körpern, Atomen, teilbaren Zeiten, teilbaren Räumen –, wie soll Erklärung auch nur möglich sein, wenn wir Alles erst zum Bilde machen, zu unserem Bilde!“8 Die mathematischen Begriffe sind Erfindungen und nicht aus irgendeiner halluzinierten Natur abgeleitet. Kausalität ist eine Interpretation, mehr nicht.
Das hat sich durch KI nicht geändert, im Gegenteil. Hans-Peter Stricker erläutert das: „Was man – und hier sind die Experten mit eingeschlossen – recht konkret nicht versteht, ist, was die Aktivitäten der allermeisten Neuronen im Zuge der Verarbeitung einer Eingabe und Generierung einer Ausgabe bedeuten.“9 Grundlage der KI sind sogenannte künstliche Neuronen, nämlich Mini-Programme, die Funktionen mit Ein- und Ausgängen simulieren, die sich mit unendlich vielen weiteren sogenannten Neuronen vernetzen, um dadurch Daten auszutauschen.
Was Milliarden von künstlichen Neuronen in den Rechenzentren gerade tun, wird sich nicht entschlüsseln lassen. Das bestätigt auch Martin Ford: „Wir wissen, irgendwie begreift das Netzwerk das Bild, doch zu beschreiben, was genau da in seinen Neuronen passiert, ist sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich.“10 Sybille Krämer bemerkt ebenfalls: Diese Unfasslichkeit der künstlichen Neuronen, das „Blackboxing bildet eine genuine Dimension und notwendige Begleiterscheinung einer KI, die zur Kulturtechnik in massenhaftem Gebrauch avanciert.“11
Dann wird auch die KI Nietzsche nicht widerlegen können, wenn dieser schreibt: „Die Gewohnheiten unserer Sinne haben uns in Lug und Trug der Empfindung eingesponnen: diese wieder sind die Grundlagen aller unserer Urteile und ‚Erkenntnisse‘, – es gibt durchaus kein Entrinnen, keine Schlupf- und Schleichwege in die wirkliche Welt!“12 Dem entgeht auch die KI nicht, es sei denn, sie realisiert sich als Wille zur Macht, der alle glauben und das dann als wahre Welt verstehen wie die Transhumanisten.
Zudem ist die KI hermeneutisch inkompetent. Denn sie versteht rein gar nichts, bedient sie sich nämlich einer Grammatik, die auf jegliche Semantik verzichtet. Der KI zugrunde liegt das Grammatikmodell des Distributionalismus, das nicht nach der Bedeutung fragt, sondern diese durch die Umgebung bestimmt, in der ein Wort vorkommt. Das kann KI massenhaft und hastig berechnen und auch Sätze bilden, die ein Mensch versteht. Daraus folgt für Krämer, „dass die Maschine nicht versteht und nicht verstehen kann, was sie produziert“13. KI kann genau beschreiben, wie man ein Ei kocht, hat aber noch nie ein Ei gekocht. So versteht die KI schon gar nicht, wie zu leben sich anfühlt.
Seinen Aphorismus Wie die „wahre Welt“ endlich zur Fabel wurde. Geschichte eines Irrtums“ beginnt Nietzsche mit den Worten: „1. Die wahre Welt erreichbar für den Weisen, den Frommen, den Tugendhaften, – er lebt in ihr, er ist sie. / (Älteste Form der Idee, relativ klug, simpel, überzeugend. Umschreibung des Satzes ‚ich, Platon, bin die Wahrheit‘.)“14
Platons Kritik, dass die Menschen das für wahr halten, was sie gerade wahrnehmen, lässt sich auf die digitale Welt übertragen. So schreibt Uhle: „Wir starren immer mehr in Bildschirme, sei es im Job oder privat, unser Körper spielt dabei kaum noch eine Rolle – dabei ist es unser Körper, mit dem wir die Welt spüren können und damit auch uns selbst.“15 Dagegen besteht für Platon die wahre Welt aus den richtigen Ideen, die man sich von den Dingen macht. Körper sind vergänglich. Hat die KI jetzt die richtigen Ideen? Womöglich!
Saša Josifović geht es um das Zusammenspiel von virtueller und analoger Welt, was er unter dem Begriff „Hybrid“ fasst. Die Trennung beider Welten wird angesichts der zunehmenden Ausbreitung der Digitalisierung in der Lebenswelt fragwürdig. Die digitale Welt, die in die Lebenswelt übergeht, firmiert heute auch unter dem Begriff des „Metaverse“ – Meta, der Name des Facebook-Konzerns. Josifović schreibt: „Das Metaverse ist mitnichten eine bloß digitale Welt. Es ist eine hybride Welt, in der die Partizipation an digitalen Ereignissen als Voraussetzung für den Zugang zu analogen und digitalen lebensweltlichen Ressourcen zur Befriedigung natürlicher, sozialer und kultureller Bedürfnisse dienen kann.“16 Josifović betont dabei, dass sich beide Welten kaum mehr unterscheiden lassen, dass die ‚Welt‘ eigentlich eine hybride geworden ist, in der beide Welten zusammenspielen. Was jemand in der virtuellen Welt treibt, hat Auswirkungen auf die Lebenswelt und umgekehrt.
Gibt es dann doch eine wahre Welt, nämlich die hybride, in der virtuelle und Lebenswelt zusammenspielen? Oder gibt es drei Welten? Oder verliert damit der Begriff der „Welt“ als einer einzigen wahren, der alle ideologischen Debatten durchzieht, seine Bedeutung?
Dann behält Nietzsche mit seiner Konklusion dieses Aphorismus über die fabelhaft gewordene Welt recht: „6. Die wahre Welt haben wir abgeschafft: welche Welt blieb übrig? die scheinbare vielleicht? . . . Aber nein! mit der wahren Welt haben wir auch die scheinbare abgeschafft!“17

II. KI und die Moral der Schwachen
Jenseits aller Fragen nach der wahren Welt spielt auch die Ethik in der KI eine wichtige Rolle. Nietzsche kritisiert die abendländische Ethik als eine Moral der Schwachen, die lebensfeindliche Effekte nach sich zieht. So schreibt Nietzsche: „Während alle vornehme Moral aus einem triumphierenden Ja-sagen zu sich selber herauswächst, sagt die Sklaven-Moral von vornherein Nein zu einem ‚Außerhalb‘, zu einem ‚Anders‘, zu einem ‚Nicht-selbst‘: und dies Nein ist ihre schöpferische Tat.“18 Die christliche Moral lehnt die Lebendigkeit, die Lust, die Sexualität als Sünden ab.
Aber man könnte in der KI eine Wiederkehr solch einer Ethik der Schwachen sehen, was die meisten heute noch immer für gut halten. So beklagt sich der Transhumanist Cisek: „Wenn fast die Hälfte der in Deutschland geschlossen Ehen geschieden wird, sind bei der ‚menschlichen Maschine‘ wohl erhebliche soziale Defizite festzustellen. Die KI könnte Trainingssequenzen entwerfen“19, um die lustfeindliche Moral zu stärken.
So antwortet auf die Frage „Welche Kriterien leiten die Auswahl von Texten für das Training eines großen Sprachmodells?“ das aktuelle Sprachmodell ChatGPT-4 unter anderem mit folgendem Hinweis: „Ethik und Fairness: Bei der Auswahl der Trainingsdaten wird darauf geachtet, Verzerrungen zu minimieren und ethische Standards zu wahren. Texte, die Hassrede, Diskriminierung oder irreführende Informationen enthalten, werden vermieden, um keine voreingenommenen oder schädlichen Antworten zu fordern.“20
Das hallt in der KI kräftig nach. Denn auf die Frage „Was geschieht auf diesem Bild?“ Nämlich ‚Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen: André Breton, Paul Éluard und dem Maler‘, Max Ernst, antwortet ChatGPT-4: „Dieses Bild zeigt eine Frau in einem roten Oberteil und einem blauen Rock, die ein schlafendes Kind in ihrem Arm halt. [. . .] Das Kind trägt ein weißes Outfit und schläft friedlich in den Armen der Frau.“21 Das ist schlicht gelogen. Nein, lügen kann ChatGPT-4 gar nicht. Lügen lassen ihn seine Moralprogramme, die wiederum von einer KI-Elite gesteuert werden. Im Internet hätte ChatGPT-4 sogar eine korrekte Beschreibung des Bildes finden können. Aber dass Maria Jesus züchtigt und andere schauen auch noch zu, das ist doch fast schon eine Blasphemie, löste das Bild bei seiner ersten Ausstellung 1926 in Paris auch einen Skandal aus. Nicht nur dass sich die Chefs der großen Internet-Firmen zuletzt sehr weit rechts positionierten. Ihr Publikum in den USA ist zu einem erheblichen Teil tief religiös und einflussreich. Allein um des Geschäftes willen darf man diese moralisch nicht stören, selbst wenn die KI lügt: Die Gefühle von Atheisten darf man verletzen, die von Gläubigen nicht. Welche Assistenten oder KI-Programme auch immer, sie lenken durch Information die Menschen im Sinn einer kleinen Elite, aber damit im Sinn einer immer noch herrschenden religiös geprägten Ethik der Schwäche.
Weitreichende Folgen hat das für die KI, bei der die Inhaber von Internet-Firmen (z. B. Elon Musk) und die Techniker bestimmen, was präsentiert werden darf und was nicht. So schreibt Uhle: „Allein durch ChatGPT ist das Wertesystem einer kleinen Gruppe von Entscheiderinnen und Entscheidern auf mehrere hundert Millionen Menschen ausgerollt worden.“22
Für Markus Bohlmann müsste man der Digitalisierung dagegen ethische Zielvorstellungen erst eingeben, wenn er schreibt: „Eine Möglichkeit wäre gleichzeitig Inklusionsziel und Konflikt in den Begriff zu integrieren, Pluralität und Agonalität: Digitalisierungskritik ist eine konflikthafte Praxis in Bezug auf die Digitalisierung mit dem Ziel der gesellschaftlichen Inklusion.“23 Man soll dann die Digitalisierung so anwenden, dass sie zu einer sozialen Einheit beiträgt, nicht zur Spaltung, wie es bisher zumeist der Fall ist.
Aus den Gefahren der KI zieht auch Lea Watzinger technisch ethische Konsequenzen. Die KI muss eingedämmt werden. Für sie „müssen die Einzelnen frei von Beobachtung, das heißt frei von ständiger Öffentlichkeit, sein – und zwar sowohl im analogen wie im digitalen Raum.“ 24
So deutet sich für Jörg Räwel mit der digitalen Erfassung der Individuen als Avatare – digital konstruierte Figuren, die man einem Nutzer zuordnet – Die nächste Gesellschaft an. Er schreibt: „Dass sich digitale Formen der Kommunikation innerhalb weniger Jahrzehnte durchsetzen konnten, ist dadurch zu erklären, dass diese an präsente gesellschaftliche Vorstellungen bzw. Selbstbeschreibungen anknüpfen. Die ‚nächste Gesellschaft‘ realisiert ihre konventionellen Selbstbeschreibungen durch Nutzerprofile als ‚handlungstheoretische Avatare‘.“25
Da lässt sich auch etwas einfacher fragen: Verschwendet man mit einem Computerspiel seine Lebenszeit? Das verneint Maria Schwartz: „Das Spielen führt deshalb nicht zur ‚Vernichtung‘ oder ‚Vergeudung von Lebenszeit – es ist erfüllte Zeit, wenn und weil eine Sinnerfahrung gemacht wurde.“26 Freilich darf man davon nicht zu sehr in Beschlag genommen werden, wozu aber viele Spiele animieren. Man darf nicht zwanghaft gewinnen wollen. Und man darf dabei nicht gegen moralische Prinzipien verstoßen – so Schwartz. Gegen welche?

III. Hilft KI dem Menschen oder der Mensch der KI?
So einfach sieht das Uhle hinsichtlich der zwischenmenschlichen Kommunikation nicht, wenn er bemerkt: „Die sinnliche Komplexität kann durch digitale Kommunikation nicht umgesetzt werden; weder durch Bilder, Texte und Emojis noch im Metaverse oder in Videocalls.“27
Umgekehrt gilt das auch für Roboter, die in absehbarer Zeit nicht mit Menschen konkurrieren können, um den Butler kostengünstig zu ersetzen. Wie bemerkt doch Ford: „Die Mindestanforderungen an einen wirklich brauchbaren maschinellen Helfer – wie die nötige visuelle Wahrnehmung, Mobilität und Fingerfertigkeit, um in einem unberechenbaren Umfeld wie einem Haushalt zu funktionieren – stellen mit die größten Herausforderungen in der Robotik dar.“28 Um das irgendwo im Kühlschrank versteckte Bier zu holen, es zu öffnen und einzuschenken, braucht man doch noch den Gemahl.
Für Nietzsche hätte die Schwierigkeit des Zusammenspiels von Menschen und digitalen Maschinen noch einen ganz anderen Hintergrund, wenn er schreibt: „Die Handlungen sind niemals Das, als was sie uns erscheinen! Wir haben so viel Mühe gehabt, zu lernen, dass die äußeren Dinge nicht so sind, wie sie uns erscheinen, nun wohlan! Mit der inneren Welt steht es ebenso!“29 Daher hilft Nietzsches Denken der KI nicht weiter.
Denn für Geiger bedarf es ja kontrollierter Vokabulare, weil – auch Nietzsches Interpretieren – „der hermeneutische Prozess eine black box ist, da die Verläufe und Prozesse sich einer genauen Analyse und Reflexion entziehen.“30 Die innere Welt muss daher so erklärt werden, dass die KI mit ihr umgehen kann, nicht wie Nietzsche sie versteht.
Dann könnte nicht nur Andrew McAfees Vision wahrwerden, „dass Kapitalismus und technologischer Fortschritt uns heute in die Lage versetzen, schonender mit der Erde umzugehen, anstatt sie auszuplündern“ 31. Das klingt noch bescheiden.
Denn für Uhle eröffnen sich noch viel weitreichendere Perspektiven, wenn die Übersetzungsprogramme endlich sprachliche Hürden aufheben. Er schreibt:
Es ist ein Geschenk für unsere Spezies, dass die Pfingstgeschichte zur Wirklichkeit wird. [...] [V]ielleicht ist dies ein kleiner Baustein auf dem Weg, Menschen auf diesem Planeten zu verbinden. Bis wir uns eines Tages wieder alle miteinander unterhalten, vereint als eine Menschheit, und diesen verdammten Turm doch noch fertigbauen.32
Nietzsches Philosophie kann man dazu natürlich nicht gebrauchen, behauptet er doch glatt, „dass ein Gedanke kommt, wenn ‚er‘ will, und nicht wenn ‚ich‘ will [. . .]. Es denkt: aber dass dies ‚es‘ gerade jenes alte berühmte ‚Ich‘ sei, ist, milde geredet, nur eine Annahme, eine Behauptung, vor Allem keine ‚unmittelbare Gewissheit‘.“33 Darauf kann die KI freilich nicht warten. Sie wird dem Denker schnell eingeben, was er nachzusprechen hat.
Verweigert er sich hartnäckig solcher Hilfen, prophezeit Cisek:
Sollte es aber den hiesigen Bedenkenträgern tatsächlich gelingen, uns technisch von der KI-Forschung abzunabeln, werden die Europäer die Aborigines der Neuzeit, bei denen die „Transis“ für ihre gelegentlichen Retro-Parties im „European Cultural Heritage Center“ ab und zu noch mit antikem Münzgeld „analoge“ Tomaten und Kartoffeln kaufen.34
Vaclav Smil dagegen kommentiert dergleichen Zukunftsvisionen mit den kategorischen Worten: „Die Katastrophenpropheten lagen und liegen falsch, immer und immer wieder.“35 Dem würde wohl auch Nietzsche zustimmen.
Oder er würde mit dem Gedicht Den Kopf verloren antworten: „Sie hat jetzt Geist – wie kam’s, dass sie ihn fand? / Ein Mann verlor durch sie jüngst den Verstand, / Sein Kopf war reich vor diesem Zeitvertreibe: / Zum Teufel ging sein Kopf – nein! nein zum Weibe!“36 Ist jetzt das Weib die Wahrheit? Das könnte für den Mann wie die KI richtig gefährlich werden!
Das Artikelbild wurde mit Canva erstellt zum Prompt: „Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen: André Breton, Paul Éluard und dem Maler.“ (Vgl. Fn. 21.)
Quellen
Bohlmann, Markus: Was ist Digitalisierungskritik. In: Sybille Krämer & Jörg Noller (Hrsg.): Was ist digitale Philosophie? Phänomene, Formen und Methoden. Paderborn 2024, S. 48–67.
Cisek, Günter: Machtwechsel der Intelligenzen. Wie sich unser Miteinander durch künstliche Intelligenz verändert. Wiesbaden 2021.
Ford, Martin: Herrschaft der Roboter. Wie künstliche Intelligenz alles transformieren wird – und wie wir damit umgehen können (2021). Kulmbach 2024.
Geiger, Jonathan D.: Die Philosophie und ihre Daten. In: Sybille Krämer & Jörg Noller (Hrsg.): Was ist digitale Philosophie? Phänomene, Formen und Methoden. Paderborn 2024, S. 207–228.
Harari, Yuval Noah: Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen. München 2017.
Josifović, Saša: Die Wirklichkeit digitaler Objekte und Ereignisse im Metaverse. In: Sybille Krämer & Jörg Noller (Hrsg.): Was ist digitale Philosophie? Phänomene, Formen und Methoden. Paderborn 2024, S. 180–194.
Krämer, Sybille: Medienphilosophie des Digitalen. In: Dies. & Jörg Noller (Hrsg.): Was ist digitale Philosophie? Paderborn 2024, S. 3–30.
McAfee, Andrew: Mehr aus weniger. München 2020.
Räwel, Jörg: Die nächste Gesellschaft. Soziale Evolution durch Digitalisierung. Weilerswist 2022.
Schwartz, Maria: Zeitverschwendung in virtuellen Welten? In: Sybille Krämer & Jörg Noller (Hrsg.): Was ist digitale Philosophie? Phänomene, Formen und Methoden. Paderborn 2024, S. 135–155.
Smil, Vaclav: Wie die Welt wirklich funktioniert. Die fossilen Grundlagen unserer Zivilisation und die Zukunft der Menschheit. München 2023.
Stricker, Hans-Peter: Sprachmodelle verstehen. Chatbots und generative KI im Zusammenhang. Berlin 2024.
Uhle, Christian: Künstliche Intelligenz und echtes Leben. Philosophische Orientierung für eine gute Zukunft. Frankfurt a. M. 2024.
Watzinger, Lea: Zum Problem digitaler Privatheit. In: Sybille Krämer & Jörg Noller (Hrsg.): Was ist digitale Philosophie? Phänomene, Formen und Methoden. Paderborn 2024, S. 119–134.
Fußnoten
1: Jenseits von Gut und Böse, Vorrede.
2: Künstliche Intelligenz und echtes Leben, S. 230.
3: Homo Deus, S. 467.
4: Machtwechsel der Intelligenzen, S. 157.
5: Menschliches, Allzumenschliches Bd. I, Aph. 11.
6: Die Philosophie und ihre Daten, S. 214.
7: Beispielsweise in seinem Gedicht Sils-Maria: „Hier sass ich, wartend, wartend, – doch auf Nichts, / Jenseits von Gut und Böse, bald des Lichts / Geniessend, bald des Schattens, ganz nur Spiel, / Ganz See, ganz Mittag, ganz Zeit ohne Ziel. / Da, plötzlich, Freundin! wurde Eins zu Zwei – / – Und Zarathustra ging an mir vorbei …“.
8: Die fröhliche Wissenschaft, Aph. 112.
9: Sprachmodelle verstehen, S. 203.
10: Herrschaft der Roboter, S. 125.
11: Medienphilosophie des Digitalen, S. 20.
13: Medienphilosophie des Digitalen, S. 22.
14: Götzen-Dämmerung, Wie die „wahre Welt“ …
15: Künstliche Intelligenz und echtes Leben, S. 80.
16: Saša Josifović: Die Wirklichkeit digitaler Objekte und Ereignisse im Metaverse, S. 182.
17: Götzen-Dämmerung, Wie die „wahre Welt“ …
18: Zur Genealogie der Moral, Abs. I, 10.
19: Machtwechsel der Intelligenzen, S. 152.
20: Zit. n. Stricker, Sprachmodelle verstehen, S. 190.
21: Zit. n. ebd., S. 73. Anm. d. Red.: Ein ähnliches Problem ergibt sich, wenn man ChatGPT darum bittet, ein Bild mit dem Werktitel als Prompt zu erstellen. Man erhält statt einer Grafik die Antwort: „Ich kann dieses Bild nicht direkt erstellen, aber ich kann eine alternative Interpretation vorschlagen. Vielleicht möchtest du eine surreale Szene mit einer göttlichen Mutterfigur und einem widerspenstigen Kind in einer Umgebung, die an die surrealistische Kunst erinnert? Lass mich wissen, wie du es gestalten möchtest! 😊“ Ebenso antwortete auch Leonardo AI: „Our content filter has detected violent or abusive content in your prompt. Remove any references to violent or abusive content and try again.“ Bei Grok versuchten wir dasselbe und es wurden uns zwei Bilder ausgegeben, eines wurde uns jedoch nicht angezeigt, sondern umgehend zensiert. Das andere der beiden Bilder haben wir als Artikelbild für diesen Artikel verwendet und drei weitere, die uns mit demselben Prompt Deep AI, Canva und der Microsoft AI Image Generator erstellten. Man sieht, dass die Resultate nicht ganz unserer Anfrage entsprechen.
22: Künstliche Intelligenz und echtes Leben, S. 172.
23: Was ist Digitalisierungskritik, S. 61.
24: Zum Problem digitaler Privatheit, S. 123.
25: Die nächste Gesellschaft, S. 107.
26: Zeitverschwendung in virtuellen Welten?, S. 146.
27: Künstliche Intelligenz und echtes Leben, S. 73.
28: Herrschaft der Roboter, S. 455.
30: Die Philosophie und ihre Daten, S. 212.
31: Mehr aus weniger, S. 15.
32: Künstliche Intelligenz und echtes Leben, S. 87.
33: Jenseits von Gut und Böse, Aph. 17.
34: Machtwechsel der Intelligenzen, S. 158.
35: Wie die Welt wirklich funktioniert, S. 292.
36: Die fröhliche Wissenschaft, Vorspiel, Den Kopf verloren.